…das absolut verblüffende: Dieser Artikel könnte heute geschrieben worden sein; aktuell wie eh und je. Viel Gewinn beim Lesen!
In sogenannten »Krisenzeiten«, wo viele Menschen um das finanzielle Überleben kämpfen, erscheint das Bäumepflanzen und der Ruf nach einem neuen ökologischen Bewußtsein wenig zeitgemäß. Wen interessiert das Waldsterben oder die Überfischung der Ozeane, wenn der eigene Kühlschrank leer ist und die Miete nicht bezahlt werden kann? Und überhaupt, ist es nicht längst zu spät, irgendetwas auszurichten in Anbetracht der weltweiten, ungebremsten Naturzerstörung? Ist nicht jede »Initiative zugunsten der Natur« nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein? Klimawandel, Abschmelzen der Eisberge, Aussterben unzähliger Arten, eine Milliarde hungernder Menschen. Dazu gigantische Schuldenberge, die jeden Tag höher werden. Unzählige Probleme…
Ja, daß wir Probleme haben, darüber braucht man nicht zu diskutieren. Aber war das jemals anders? Hat es je eine Zeit gegeben ohne Ungerechtigkeiten, Naturkatastrophen, Konflikte und Hungersnöte? Sind unsere Großeltern nicht lebende Reliquien eines Jahrhunderts, das von zwei Weltkriegen und abenteuerlichsten Lebensgeschichten geprägt war? Und wurden nicht gerade in diesen »Krisenzeiten« die meisten Helden geboren?
Was ist heute anders? Warum ist überall Resignation zu spüren, obwohl es uns – verglichen mit der Vergangenheit – noch gut geht? Warum behaupten selbst jene, die schwerste Krisenzeiten hautnah erlebt haben, daß ihre Sorge noch niemals so groß war? Ist heute wirklich alles viel schlimmer? Oder könnte es auch daran liegen, daß es unsere globalisierte Medienwelt geschafft hat, jedes »Unglück« der Erde zum »Un-Glück« aller zu machen? Daß es unabdingbar notwendig ist, über jeden Erdrutsch in Asien, jeden Raubüberfall in Amerika und jeden Verkehrsunfall in Norddeutschland live zu berichten? Es ist sicherlich keine Lösung, die Augen vor der Realität zu verschließen. Doch was ist »die Realität«? Wie viele »wichtigste (Negativ-) Nachrichten des Tages« verträgt der Mensch? Wann beginnt er innerlich abzuschalten und zu resignieren?
In einer Welt mit über 6 Milliarden Menschen geschieht jede Sekunde etwas. Es werden täglich Zehntausende Menschen geboren, und es sterben fast ebenso viele. Quantitativ gesehen halten sich Positives und Negatives die Waage. Je mehr wir uns jedoch auf die Tragödien konzentrieren, desto kleiner wird die Motivation, an möglichen Veränderungen aktiv teilzunehmen. Dabei geschehen jetzt und gerade in diesem Augenblick weltweit unzählige »positive Dinge«. Menschen treffen einander, vielleicht zum ersten Mal. Und es geschieht etwas zwischen ihnen, was keiner so richtig begreifen kann. Durch ihre Begegnung bekommt das Leben einen neuen, umfassenderen Sinn. Ihre Sicht des Lebens verändert sich. Überall und an jedem Ort der Welt hat jeder Mensch in jedem Augenblick die Möglichkeit zu entscheiden, wie er die Welt und wie er das Leben sieht. Und letztlich ist es seine Sicht des Lebens, die sein zukünftiges Handeln bestimmt.
Was das Retten der Welt anbetrifft, so ist weder das Pflanzen eines Baumes noch die Installation einer Solaranlage der »ultimative Weltrettungsakt«. Auch die spektakulärste aller Greenpeace- Aktionen wird die große Masse all derer nicht zu Umweltschützern machen, die gerade um das nackte Überleben kämpfen. Nachhaltige Veränderungen geschehen nicht kollektiv und für alle sichtbar, sondern sie geschehen überall dort, wo Menschen dafür geöffnet sind. Einen zeitgleichen, weltweiten und kulturübergreifenden Bewußtseinswandel kann es nicht geben. Denn jeder Mensch ist in seiner Entwicklung an einem anderen Punkt.
Jede Veränderung braucht Zeit. Damit nach und nach immer mehr Menschen zum Bewußtsein erwachen können, bedarf es vor allem zweier Dinge: Motivation und überzeugende Vorbilder. Sich selbst immer wieder zu motivieren, auch wenn die »Berichterstattung« gezielt nur das Negative, Demotivierende als wichtige Nachricht präsentiert, ist eine Kunst, eine Über-Lebenskunst! Wer es vermag, jeden Tag neu das große Abenteuer Leben anzunehmen, statt im emotionalen Meer der weltweiten Probleme zu ertrinken, der kann auch etwas bewegen. Und nur wer etwas bewegt, kann anderen ein Vorbild sein.
Diese Erkenntnis ist unsere »wichtigste Nachricht des Tages«.
Michael Hoppe
ⒸNATURSCHECK Winter 2009
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